Corona – Eine feministische, antikapitalistische und antirassistische Befundaufnahme

Die letzten Wochen zeigen insbesondere eins: Frauen sind stärker von Corona betroffen. Damit meinen wir nicht das Virus selbst. Glaubt man jenen Berichten, nach denen, gemessen an der Zahl der Infizierten, das Virus eine größere Gefahr für Männer darstellt, können Frauen sich glücklich schätzen. Hat ja schließlich auch sein Gutes: Nur so können weiter jene Arbeiten verrichtet werden, die, wie sich jetzt zeigt, unabdingbar für Gesellschaft und System sind. Überwiegend sind das schließlich Arbeiten, die von Frauen verrichtet werden. Überwiegend sind das vor allem aber auch Arbeiten, die, wenn überhaupt bezahlt, in Altersarmut führen, Arbeiten, die sonst gänzlich unsichtbar sind, weil sie als stereotyp weiblich gelesen werden und maximal mit einem Lob “entlohnt” werden. Wir sprechen hier also nicht mehr über das Virus selbst, sondern über die mannigfaltigen Symptome kapitalistischer und patriarchaler Strukturen, die durch die Corona-Krise verstärkt und sichtbar werden. So besehen ist die Krise eine Chance, die Ursachen der Symptome, wenn zwar aktuell nicht auf die Straßen, dann doch zumindest in die Köpfe und Zoom-Meetings zu tragen und sie zu bekämpfen. Applaus und Lob reichen nicht aus – auch wenn es direkt von Mutti kommt! Aber der Reihe nach. Zu allererst: Wenn wir hier über Frauen und Männer sprechen, meinen wir die Konstruktionen und Zuschreibungen, die mit diesen Rollen einhergehen, die jedoch weder mit der eigenen Geschlechtsidentität noch mit der eigenen Ausfüllung der geschlechtlichen Rolle übereinstimmen müssen. Dennoch schreiben wir von Mann und Frau, weil dies die bestimmenden Kategorien des Patriarchats sind.

„Ärzte, Pfleger, Sanitäter, Apotheker können nicht ins Homeoffice gehen. Sie sind diejenigen, auf die wir uns verlassen, wenn wir krank werden. Wir können sie dabei unterstützen: Indem wir, wann immer möglich, zuhause bleiben”, empfahl Bundesgesundheitsminister Spahn am 17.03.2020. Gleichzeitig markiert dieser Tag selbst, als Equal Pay Day, symbolisch den geschlechtsspezifischen Entgeldunterschied, der laut Statistischem Bundesamt in Deutschland unverändert bei 21% liegt. Das Datum ist nicht zufällig gewählt: Bis zu diesem Tag arbeiten Frauen umsonst. Und gerade in jenen Wirtschaftszweigen, die als systemrelevant eingestuft werden, arbeiten überproportional viele Frauen: Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sind drei von vier der im Gesundheitswesen Beschäftigten Frauen – in der Krankenpflege liegt der Anteil von Frauen bei 80%, in der Altenpflege bei 84%. Aber auch jene, die im Einzelhandel mit Nahrungsmitteln beschäftigt sind, können aktuell nicht ins Homeoffice gehen: Auch hier liegt der Löwinnenanteil mit 73% bei Frauen. Wir möchten an dieser Stelle keineswegs jene Wirtschaftszweige vergessen, die ebenfalls systemrelevant sind, etwa Transport und Lager, oder jene, die auch in der aktuellen Diskussion noch weniger sichtbar sind, wie zum Beispiel Verpacker*innen, Beschäftigte in Wasserwerken oder bei der Müllabfuhr, Feldarbeiter*innen – letzteres ohnehin ein Thema für sich. Der Punkt ist, dass gerade in jene Bereiche, in denen überproportional viele Frauen beruflich aktiv sind, eine unterdurchschnittliches Lohnniveau herrscht. Insbesondere Reinigungskräfte und Kassierer*innen stemmen die aktuelle Krise im Niedriglohnbereich. Die Mehrheit der als systemrelevant eingestuften Berufsgruppen hat eins gemeinsam: Sie weisen als weiblich interpretierte Versorgungsaspekte auf. Es sind jene Berufe, die mit dem Anstieg der Erwerbstätigkeit von Frauen wenig Lohnzuwachs erfahren haben. Es sind allzuoft jene Berufe, die nicht durch Tarifverträge abgedeckt sind und es sind auch jene Berufe, die, so bestätigt es die jüngste Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, nicht nur durch niedrige Löhne, sondern auch durch ein verdammt niedriges Ansehen charakterisiert sind. Hier helfen keine warmen Worte und auch kein Applaus von den Balkonen. Galt bisher der Besserverdiener als Leistungsträger der Nation (ja, bewusst der männliche cis-Besserverdiener), liegt heute der mediale Fokus auf der Art der Tätigkeit. Was dabei außer Augen gelassen wird, ist, dass der Kapitalismus möglicherweise nicht den Interpretationsrahmen bietet, um die Sinnhaftigkeit von Tätigkeiten zu bewerten. Side note: Der Kapitalismus ist möglicherweise auch ungeeignet, den Marktpreis einer Ware zu rechtfertigen. So lässt es zumindest der horrende Preisanstieg beispielsweise von Desinfektionsmittel vorsichtig vermuten. Es geht hier akut um eine höhere Entlohnung und Absicherung. Konkret geht es sogar oftmals schier um die nötige Schutzausrüstung. Es geht um Anerkennung, nicht Lob. Lob setzt stets eine Hierarchie voraus – eben jene Hierarchie zwischen denen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, und denen, die daraus Profit schlagen wollen.

Die Quelle des Reichtums im Kapitalismus ist die Arbeit. Damit dieses Prinzip aufgeht, muss die Arbeitskraft natürlich gesund sein. Überdies sollte sie wohlgehütet, also betreut sein – in der Kindheit wie im Alter. Und das alles bitte möglichst kostengünstig. Die oben genannten Institutionen, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, aber auch Kitas und Vorschulen, im Übrigen hier mit einem Rekord-Frauenanteil von 93%, unterliegen einem strikten Sparzwang – finanziell wie personell. Jetzt, wo Kitas und Schulen krisenbedingt geschlossen sind, findet auch jenseits der, wenn auch schlecht bezahlten, Erwerbsarbeit im Privaten eine Retraditionalisierung klassischer Rollenbilder statt. Sorgearbeit – der Einsatz für Familie, Haushalt, Ehrenamt – ist im Kapitalismus ohnehin keine Arbeit. Die Zeit, die dafür aufgebracht wird, scheint nicht zu existieren – oder Frau hat sie scheinbar zu verschenken. Unbezahlte Sorgearbeit wird überwiegend von Frauen verrichtet: Nach Zahlen des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (ohnehin ein tolles Potpourri) liegt der Gender Care Gap bei 52%, d.h. umgerechnet sind Frauen – auch jenseits von Corona – 87 Minuten mehr mit Sorgearbeit im Privaten beschäftigt. Inmitten von Corona dürfte diese Kluft sich verschärfen. Nicht zu vergessen ist, dass neben der gänzlich in den häuslichen Bereich verlagerten Betreuungsarbeit auch jene Belastung wächst, die sich daraus ergibt, auch im häuslichen Bereich eine funktionierende Infrastruktur im Hintergrund am Laufen zu halten.

Mit dem Zurückgeworfenen auf die private Sphäre, dem Aufruf, wann immer möglich, zu Hause zu bleiben und der eindimensionalen Konstruktion des zu Hauses als Ort der Sicherheit, ergibt sich aber für eine Vielzahl von Frauen ein gravierendes Dilemma. Der seit Tagen über soziale Medien kursierende Aufruf “Wir bleiben für euch da, bleibt ihr bitte für uns daheim” oder kurz #staythefuckhome von Ärzt*innen, Pfegekräften, Polizist*innen, Notfallsanitäter*innen etc. wiegt schwer, wenn der Daheim ein Ort der Bedrohung und Gewalt ist. Meldungen à la “Häusliche Gewalt nimmt wegen Corona zu” oder “Wenn Nähe zur Gefahr wird” benennen nicht die Aggressoren und Verantwortlichen. Schlimmer noch, sie entwerfen neue Kausalitäten. Nach Zahlen des Bundeskriminalamts werden schon jetzt 100.000 Frauen zu Opfern partnerschaftlicher Gewalt; laut BMFSFJ wird etwa jede vierte Frau einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen bzw. früheren Partner. Betroffen sind Frauen aller sozialen Schichten und Altersgruppen. Bei Vergewaltigungen, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen in Partnerschaften sind die Opfer zu 98% weiblich. Diese Zahlen sind auch jenseits von Corona alarmierend. Hinter diesen Zahlen stehen Täter. Durch Corona verschärft sich nun die ohnehin schon schwierige finanzielle und personelle Situation vieler Frauenhäuser und Beratungsstellen – auch weil der Infektionsschutz dazukommt. Hier braucht es schnelle und unbürokratische Lösungen, um mehr Kapazitäten zu schaffen.

Wenn wir den Fokus ausweiten und abschließend zurückgehen zu der funktionierenden Infrastruktur im häuslichen Bereich, kommen wir leider nicht um das Phänomen der sog. Hamsterkäufe herum. Der aktuelle Ausnahmezustand mit seinen teils unabsehbaren Folgen für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft erzeugt Angst. Diese Angst ergießt sich exemplarisch im medial ausgeschlachteten Horten von Toilettenpapier. Mag sein, dass es dem Notwendigkeitsempfinden mancher entspricht, mag sein, dass es tiefenpsychologich sehr interessant, weil Ausdruck einer nicht überwundenen analen Phase, ist. Doch es ist vor allem sinnbildhaft für ein Hamstern, das sich auch auf nationaler Ebene widerspiegelt. Die Solidarität, zu der wir fortwährend aufgerufen werden, ist keine. Diese Solidarität hat einen Exklusivitätsanspruch – gemessen am eigenen Arsch oder der eigenen Staatsgrenze. Der Deutsche Ethikrat, als unabhängiges Sachverständigenorgan, beschränkt sich in seiner Ad-hoc-Empfehlung “Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise” vollends auf die deutsche Gesellschaft. Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich, laut seiner Selbstdarstellung, mit “den großen Fragen des Lebens” und klammert dabei aus, wie schnell Aufnahmeprogramme für Flüchtlinge gestoppt worden sind oder wie toxisch es ist, wenn sich die krisenbedingte Rhetorik der Angst zu einem ohnehin schwelenden Nationalismus und Rassismus in unserer Gesellschaft gesellt.

Darum fordern wir:

• Sofortiges, bedingungslose Grundeinkommen und mittelfristig die Verkürzung der Erwerbsarbeitszeiten zur Absicherung der Existenz aller

• Bessere Entlohnung und Arbeitsbedingungen in den nun als systemrelevant eingestuften Bereichen

• Bundesweit mehr Kapazitäten in Hilfseinrichtungen für Frauen

• Permanente Senkung der Hürden für Homeoffice

• Inklusive und handlungswirksame Solidarität

• Substantielle Evakuierung der Lager auf den griechischen Inseln

Rede von FEM UP! zum Frauen*kampftag am 8. März 2020

Nicht erst seit 2016/ 17 versuchen Rechte das Thema Gewalt gegen Frauen für sich zu besetzen. Die Mobilisierungen nach der Silvesternacht in Köln oder auch in Kandel zeigen ein großes Potential und bieten Anknüpfungspunkte zu Bürgerlichen. Forderungen nach dem „Schutz unserer Frauen“ und der häufigen Thematisierung von Gewalt gegen weiße Frauen, wenn sie denn von Männern, die als migrantisch und nicht deutsch markiert wurden, flossen in den öffentlichen Diskurs ein.

Nun müssen wir genauer hinschauen, denn in diesen Mobilisierungen und Forderungen ging es nicht um die tatsächliche Thematisierung und Ächtung patriarchaler Gewalt, sondern um Rassismus. Es ging nicht um Rechte und Forderungen von Frauen, Lesben, Inter, Non- Binären und Transpersonen, sondern darum Ängste zu schüren, die auf rassistischen Stereotypen basieren. Das Bild der weißen Frau die vor Nicht-weißen, triebbehafteten Männern geschützt werden müsse, reicht bis weit in die Kolonialzeit zurück. Dabei geht es nicht um die Frau an sich, ihre emotionalen und physischen Verletzungen, sondern sie wird gebraucht, um weiße Kinder zu gebären, dient folglich dem Schutz der imaginierten weißen „Rasse“. Der weiße Mann kann sich hingegen durch die Funktion als Beschützer, seine Männlichkeit beweisen.

Hier geht es um Rassismus und nicht um die Thematisierung patriarchaler Gewalt.

Wenn wir Gewalt an FLINT thematisieren möchten, müssen wir weiter schauen. Zum einen ist nicht nur die weiße Cis- Frau Opfer von Gewalt, sondern ebenso Women of Colour, sowie Intersexuelle, Nicht- Binäre und Transpersonen. All jene Menschen, die weiblich gelesen werden, weibliche Merkmale tragen und/ oder die das Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit durch ihr Sein, ihr Auftreten oder Verhalten in Frage stellen.

Zum Anderen sind die Täter nicht der vorgestellte „Fremde“, sondern es sind oftmals Menschen aus dem Bekannten-, Freund*innenkreis oder der Familie.

Jede dritte Frau wird in ihrem Leben Opfer von sexualisierten Übergriffen und Gewalt. Dies schafft Angst und Unsicherheitsräume, die dem Machterhalt dienen.

Doch wir lassen uns den öffentlichen Raum nicht nehmen.

Gewalt gegen FLINT ist Ausdruck eines Machtgefälles, das durch Geschlecht vermittelt wird- dem Patriarchat. Gegen diese Gewalt zu sein, bedeutet das Patriarchat bekämpfen zu wollen. Das geht nur allumfassend durch feministische Praxis, die antifaschistisch, antisemitismuskritisch und antirassistisch ist.

Die extreme Rechte hingegen ist weit davon entfernt feministisch zu sein, im Gegenteil sie sind antifeministisch. Ob Abtreibungsgegnerinnen und -gegner, Teilnehmende der so genannten „Demos für alle“ usw., sie alle eint das Bestreben die Errungenschaften des Feminismus zurückzudrängen.

Sie beharren auf dem Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit, richten sich gegen Lebensentwürfe, die nicht der heteronormativen Kleinfamilie entsprechen und gehen von starren Rollenbildern aus.

Ihre Agitation ist voll Mysogenie, LSBTIQ-Feindlichkeit und Sexismus.

Und den Worten folgen Taten:

Von Anders Breivik, über die rechten Terroristen von Christchurch und Halle, bis hin zu dem rechten Attentäter von Hanau, sie eint, dass sie Pamphlete hinterlassen haben, um ihre Morde zu begründen. Neben Antisemitismus und Rassismus einte sie auch die Mysogenie und ein tief sitzender Antifeminismus. So wurde den Feminist*innen die Schuld an einem konstruierten „großen Austausch“ gegeben, der das imaginierte homogene „Volk“ zerstöre. Ganz bewusst, töteten alle Women of Colour und Frauen, bei denen sie einen Migrationshintergrund annahmen.

Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoğlu wurden Opfer von rechtem Terror in Hanau. Sie alle wurden brutal aus ihrem Leben gerissen. An dieser Stelle möchten wir an sie und ihre Angehörigen denken. Unsere Wut und unsere Trauer sind bei ihnen

(Schweigeminute)

Doch es reicht nicht zu Schweigen. NSU, Kassel, Halle und nun auch Hanau wurden politisch nun oft als Zäsuren betrachtet, doch konsequent antifaschistisches Handeln blieb aus.

Es bleibt an uns. Mit uns meine ich Antifaschist*innen, Feminist*innen, Menschen die von Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, LSBTIQ-Feindlichkeit und Sexismus betroffen sind.

Wir müssen solidarisch sein.

Wir gehören auf die Straße, um unserem Protest Ausdruck zu verleihen. In Diskussionen müssen wir uns der zunehmenden Barbarisierung widersetzen und für unsere emanzipatorischen Vorstellungen einer Gesellschaft argumentieren. Wir müssen aufeinander aufpassen.